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South Africa's Real Heroes - Part I

Aktualisiert: 28. Okt. 2019

In den vergangenen Artikeln habe ich vor allen Dingen die Schattenseiten dieses Landes beleuchtet.


Diese Dämonen Südafrikas huschen zwar genauso immer mal wieder durch diesen Text, weil sie traurigerweise fester Bestandteil der täglichen Lebensrealität hier unten sind. Definitiv werden sie es aber nicht schaffen, die beeindruckenden, lustigen und zutiefst herzlichen Menschen zu überschatten, die heute im Rampenlicht meines Blogartikels stehen sollen.

In diesem Text geht um all die starken Persönlichkeiten, die ich über der Arbeit im Kinderheim hinaus im ärmeren Teil Südafrikas kennenlernen durfte.


Alles beginnen, tat es wohl mit Levern.


So trug es sich in den ersten Monaten im House of Resurrection zu, dass ich täglich Denver und Fragrence von der Arbeit nach Hause bringen musste.

Denver ist ein Junge in meinem Alter, der ehemals im Haven wohnte und sich nach seinem Auszug dort weiterhin ein bisschen Geld als Hausmeister verdiente.

Fragrence organisiert im Haven viele der Essensangelegenheiten und ist für unsere Nähwerkstatt und das, vor ein paar Jahren gestartete, Recyclingprojekt zuständig.

Fragrence in ihrer Nähwerkstatt

Meine Projektpartnerin Tabea wollte man zunächst in die Wohnareas der beiden nur ungern schicken, da man die Fahrroute auch gut und gerne als Besichtigungstour der berücktichgsten Gangsterhochburgen Port Elizabeths anbieten hätte können.

So blieb der ganze Spaß an mir hängen. Auf den ersten Blick, ziemlich scheisse gelaufen, auf gut Deutsch gesagt. Vor allen Dingen, weil durch diese Aufgabe meine alltägliche Zeit mit den Kindern um rund die Hälfte verkürzt wurde.

Aber halb so wild. Mit unverfälschter südafrikanischer Art lässt sich ja bekanntermaßen, alles irgendwie ins Positive drehen. Und tatsächlich waren die Fahrten mit Denver und Fragrence wohl eine der glücklichsten zufälligen Entwicklungen insgesamt in meinem Jahr hier.

Denn diese Fahrten schmissen mich regelrecht ins eiskalte Wasser und ließen mir gar keine andere Wahl als eine Angst zu verlieren, die vermutlich jeder ASC-Freiwillige anfangs besaß. Die Angst vor den Townships.


Anstatt jeden Township-Bewohner beim Vorbeifahren erst einmal von oben bis unten visuell auf Waffen zu untersuchen, (ja das habe ich wirklich getan), fing ich an die Leute in einer der gefährlichsten Areas der Stadt schlechthin einfach zu grüßen.

Statt beim Rauslassen von Denver so zu tun, als wäre ich der Chauffeur des amerikanischem Staatspräsidenten, der jeden Moment damit rechnen muss, umzingelt und attackiert zu werden, begann ich, mir zum Beispiel beim Ausladen von Denvers Rollstuhl von den Anwohnern helfen zu lassen. Klingt erst einmal simpel, ist aber in einem Land gar nicht so leicht, in dem einem äußerst deutlich eingeprägt wurde, dass du dich außer in ausgewiesenen Areas auf Grund der hohen Kriminalität eigentlich nie zu Fuß bewegen darfst. Nichts desto trotz wippte ich bald beschwingt mit den Hüften zum fantastischen Jazz des völlig vergreisten Nachbarn Denvers, sobald ich aus dem Pick-Up sprang. Freundliche Blicke mit allen Anwesenden wurden ausgetauscht und ein kleiner Smalltalk am Gartenzaun mit der Familie Denvers kam ebenfalls nie zu kurz. Klar das Risiko war immer noch da, die Türen des Wagens mussten allseits geschlossen sein, angehalten werden durfte nur an bestimmten Punkten und jeder auf der Straße über 12 konnte hier theoretisch eine Handfeuerwaffe dabeihaben.

Das Gefühl ein kleines bisschen Jason Statham aus „Der Transporter“ zu sein, ging also nie ganz verloren.

Shacks an der Kreuzung zu Denvers Straße

Verstärkt wurde der ganze Eindruck noch durch die Erzählungen Denvers, dessen Vertrauen ich langsam aber stetig begann zu gewinnen. Hauptsächlich indem ich ihn auf unseren gemeinsamen Fahrten DJ spielen ließ und möglicherweise auch durch den einen oder anderen Mini-Burnout auf den Township-Dirtroads.

Hinzufügend sollte man vielleicht noch erwähnen, dass Denver eine leichte geistige Einschränkung besitzt und sein Englisch dazu dann unter Umständen doch nicht ganz an einen Cambridge-Akzent rankommt. Dies hieß, erste Kommunikationsversuche liefen eher nach dem Modell interplanetar ab.

Als jedoch der Erstkontakt so langsam überwunden war, ging es schon rasch an's Eingemachte. Geschichten über häusliche Gewalt, Alkoholabhängigkeit, Schusswechsel mitten in der Nacht und Typen, die einem sogar 20 Cent vor dem Shop mit einem Messer abziehen, sind nicht leicht zu verdauen. Besonders nicht wenn du sie früh am eigenen Leib erleben musstest. Dazu in völligem Kontrast Denvers unverkennbare, unbekümmerte, fast kindliche, permanent freundliche Art.


Denver und ich auf der Hauptstraße vor seinem Wohnhaus

Diese sich entwickelnde, ungleiche Freundschaft zwischen einem jungen Erwachsenen im Rollstuhl, der mit seinen 19 Jahren wahrscheinlich schon fast alles durchgemacht hatte, was man in diesem Alter überhaupt durchgemacht haben kann und einem Jungen, aufgewachsen bei einer liebenden Mutter in einem der reichsten Länder der Welt, sollte mir auf unfassbar eindringliche Art und Weise bewusst werden lassen, dass hinter den ganzen Schauergeschichten aus Townships Menschen stecken und Menschen leiden...


Verdammt! Jetzt habe ich ganz vergessen, dass es hier doch um Levern gehen sollte. Tut mir wirklich Leid, Denvers Geschichte ist nur einfach etwas, was mein Herz sicher noch für eine lange Zeit nicht verlassen wird. Sie verdient, erzählt zu werden.


Aber nun wirklich zu Levern, versprochen.


Auf diesen immer wieder aufs neue einprägsamen Fahrten durchs Township lernte ich dann nämlich eines Tages Levern kennen.

Und tja, Levern ist wohl eine Person, auf die mich sogar meine absolvierte „The Transporter“ Grundausbildung nur schwerlich vorbereiten konnte. Gerade half ich noch Fragrences Sohn von der Ladefläche des Pick-Ups, hob ihre verschlafene Tochter Aroma (nebenbei beste Mutter-Tochter Namenskombination der Welt) behutsam vom Frontsitz und brachte sie zur Haustür, da stand sie dort auch schon.

Fragrences Schwester Levern bestehend aus 1,50m purem Charme, schlagfertig wie Chackie Chan und immer mit mindestens einer Sonnenbrille und einem paar High-Heels bewaffnet, unabhängig davon wie matschig und verregnet die Dirtroads des Missionville Townships auch sein mochten.

Erster Blickkontakt, erste Handlung: Sonnenbrille betont langsam, fast Hollywood-reif auf die selbstverständlich frisch frisierten Haare setzen. Das war dann allerdings so ziemlich alles an Gemächlichkeit, die mir an diesem Tage vergönnt war. Sobald geklärt war, dass sich die Befindlichkeit aller Anwesenden im Rahmen von „quite tired“ (Aroma) und „perfectly fine“ (Levern) bewegten, ging es nach einer kurzen Vorstellungsrunde direkt los. Als ich alsbald nämlich ein wenig unbeholfen versuchte, zu verdeutlichen, dass ich mich ja echt gerne weiter unterhalten würde, jedoch leider los müsste, um nicht zu spät zum Haven zu kommen, ließ Levern diese Chance natürlich nicht ungenutzt. „So when are you picking me up and take me home instead of Fragrence?“

Ein 18-jähriger Saliu, der logischerweise eine enorme Erfahrung darin hatte, Frauen Mitte-Ende zwanzig auf eine südafrikanisch, höfliche Art und Weise deutlich zu machen, dass er sich zwar sehr geschmeichelt fühle, aber erst mal leider kein Interesse an einer romantischen Beziehungen hätte, kann sich im nach hinein nur noch Bruchteilhaft erinnern, mit welchem rhetorischen Meisterstück er sich aus dieser verzwickten Position wieder befreien konnte.


Matthis vs. Levern

Endlich Zuhause angekommen, spielte ich die gerade erlebte Situation nochmal im Kopf durch, nur um ganz sicher zu gehen, dass ich mir soeben nicht irgendwelche groben kulturellen Schnitzer erlaubt hatte. Beispielsweise, dass ich durch meine Ablehnung indirekt das Familienoberhaupt beleidigt hatte oder so. Ich kam zu dem Schluss, dass es bei 'coloureds', was dieses Thema anging, eh alles ein bisschen lockerer gesehen wird und mir war die Erleichterung sichtlich ins Gesicht geschrieben und ich begann die Chancen zu sehen...

Jemand der im Township wohnt, der aber nicht im Haven arbeitet. Darüber hinaus eine Person, die etwas mit mir unternehmen möchte und der ich vertrauen kann, da sie mit meiner Arbeitskollegin verwandt ist?

Außerdem hatte ich nicht damals in meinem Motivationsschreiben für den Freiwilligendienst geschrieben, dass ich auch über die Arbeit hinaus Kontakt mit locals aufbauen möchte, um ihre Ideen und Sicht auf die Welt zu verstehen. Als ich dazu noch bemerkte, dass ich bei meiner möglichst charmanten Flucht aus der Situation am Nachmittag im Eifer des Gefechts bei der verzweifelten Suche nach einem Ausweg anscheinend eine Handynummer ergattert hatte, war die Lage klar. Saliu, du musst zurück ins Gefahrengebiet.

Nach einigem hin und her schreiben auf WhatsApp wurde offensichtlich, dass Levern den Strand und das Meer über alles liebte, jedoch noch nie einen der schönsten Strände, der ganzen Ostküste gesehen hatte, da dieser ohne Auto quasi unerreichbar war. Ich entschied mich ihr eine Freude zu bereiten, indem ich sie eines Sonntags im Oktober abholte, um ihr die riesigen Dünen des Sardinia Bay Beach im Süden von Port Elizabeth zu zeigen. Diese sahen bei 20 °C und Nieselregen zwar nicht ganz so schön aus wie auf den Postkarten, trotzdem hatten wir einen Heiden Spaß. Durchgefroren und mit leicht durchnässten Klamotten allerdings mit einem Lächeln auf dem Gesicht, kamen wir gegen Abend wieder bei Leverns doppelstöckiger Einzelhaushälfte mit der Größe eines Zweizimmerappartements an. (Ich weiß eine Immobilienbeschreibung so komplex, dass man damit in Deutschland wahrscheinlich sogar bei Immowelt keinen Treffer landen wird.)

Interessiert schaute ich mich um und wurde dabei auf die Auszeichnungen an der Wand aufmerksam, die stolz auf Augenhöhe angepinnt waren. Mir fiel auf, dass ich ja nicht ein mal wusste, als was Levern arbeitete.

Bei einem Tee mit hoffentlich genau der richtigen Anzahl an Löffeln Zucker, die mich nicht vom schon schlimmen Vegetarier zum abscheulichen "Ernährungsfreak" werden lassen haben, begann mich Levern in ihre Lebenswelt einzuführen.

Sie erzählte davon, wie sie angefangen hatte Krankenschwester zu lernen, aber abgebrochen hat, Zitat: „When I saw the dead people“ und jetzt in einem Callcenter für ein bisschen unter 2€ die Stunde arbeitete und es liebte täglich Leuten zu helfen. Ich zeigte ihr daraufhin Bilder von München, Braunschweig und Frankfurt und schilderte ihr, wie vergleichsweise bequem es einem dann doch oft im deutschen Sozialstaat gemacht werde. Wir sprachen über Mindestlohn, Hartz IV und die trotz alledem so reservierte Art der Deutschen. Levern hörte viel zu, erklärte mir ihre Sichtweise auf die Dinge und berichtete, wie das südafrikanische Pardon zu den deutschen Lebensumständen aussieht.

Kombiniert mit einer Packung Kekse, die sie liebevoller Weise vom Kiosk um die Ecke geholt hatte und Leverns wundervollem Charme, wurde dieser Abend zu einem Musterbeispiel interkulturellen Austausches, wie er wohl nicht besser auf der weltwärts-Website hätte beschrieben sein können.

Alles nur unterbrochen von einem Saliu, der alle 30 Minuten tief besorgt schräg nach unten aus dem Fenster lugte, um zu überprüfen, ob sein Auto noch auf Reifen oder bereits auf Ziegelsteinen stand, zur totalen Belustigung Leverns.

Levern am Sardinia Bay

Info: Kiosks im Township kann man sich ungefähr so vorstellen, wie einen Berliner Späti, der ein bisschen zu viel Prisonbreak geschaut hat und jetzt voll auf Gefängnis-Fler mit Gitterstangen und Vorhängeschlösser an der Warenausgabe macht. Er wird übrigens im Volksmund öfters liebevoll Kwara-Shop genannt, übersetzt Ausländer-Shop, da diese Shops nicht selten von pakistanischen Immigranten betrieben werden. Ein schönes kleines Beispiel, dass unterschwellige Xenophobie eben doch kein deutsches Unikat ist, sondern ein Kassenschlager auf der ganzen Welt.

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